Petit-Goâve und seine ca. 100.000 Einwohner wurden vom Erdbeben schwer getroffen. Es gab mehrere Tausend Tote und 50-60% der Häuser wurden zerstört. Von den übrigen Häusern gelten lediglich noch 5% als statisch gut und können von den Bewohnern weiterhin benutzt werden. In Petit-Goâve ist daher der Großteil der Bevölkerung obdachlos, die Menschen leben und schlafen auf der Straße oder in Notunterkünften.
(Die ersten Eindrücke der Situation vor Ort kann man im Reisebericht unseres Koordinators Hugues Monice detailliert nachlesen.)
Die Strukturen innerhalb der Stadt existieren nicht mehr, da auch die öffentlichen Gebäude wie Rathaus, Banken, Kirchen und Schulen zerstört wurden. Lediglich der Verwaltungstrakt des einzigen öffentlichen Krankenhauses wurde nicht zerstört. Momentan hilft man sich mit einem mobilen Krankenhaus vor Ort. Das Meer hat zwei Straßen, die direkt am Meer lagen, geschluckt und die dort leben Menschen konnten von Glück sagen, wenn Sie überlebt haben.
Die Angst vor neuen Nachbeben und vor einer Flutwelle sowie die Angst vor der Zukunft beherrschen das Leben in der Stadt. Viele Menschen haben das traumatische Erlebnis und den Verlust von Familienangehörigen noch nicht wirklich realisiert. In den Gesichtern der Menschen sieht man Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, aber auch eine Verwirrtheit, die erahnen lässt, dass viele erst in den kommenden Monaten verstehen werden, was die Katastrophe für sie selber bedeutet.
Unsere beiden Projekte — die Schule und die Schulpatenschaften — wurden schwer getroffen. Getroffen in dem Sinne, dass wir unser Schulgebäude verloren haben und das Schulgebäude der Schule “Notre Dame” ebenfalls zerstört wurde. In beiden Schulen gab es aber zum Glück keine Toten bzw. Schwerverletzten. Lediglich einige Kinder wurden leicht verletzt; Unsere 4 Lehrer blieben ebenfalls unverletzt. Von unseren Kindern (165 Schulkinder und 13 Patenkinder) haben die allermeisten ihr Zuhause verloren und wohnen jetzt mit ihren Eltern und Geschwistern in einer der Obdachlosenunterkünfte der Stadt. Aus Angst vor neuen Beben und Überschwemmungen wurden die Kinder aber teilweise auch zu ihren Großeltern oder anderen Verwandten in das bergige Umland gebracht.
Die meisten Kinder leiden aufgrund der Situation unter Erkältungskrankheiten und Fieber, da es zwar tagsüber sehr warm ist, in der Nacht jedoch auf 5 Grad abkühlt. Zudem leiden die Kinder unter psychischen Problemen. Traumatisch ist für sie der Verlust ihres Zuhauses, von Verwandten und Freunden sowie ihres bisherigen Alltags. Sie haben kaum Möglichkeiten, ihre Trauer zu verarbeiten. Zudem können sich viele Eltern nicht ausreichend um ihre Kinder kümmern, da sie selber stark traumatisiert sind und versuchen, für die Familie Essen und ein neues Heim zu finden. Die Rückkehr in einen normalen Alltag verzögert sich für die Kinder noch dadurch, dass der Schulunterricht wohl erst wieder im Herbst aufgenommen wird.
Für Marabou stellt sich nun die Frage, wie wir den Kindern und ihren Eltern in der aktuellen Situation helfen können. Wie können wir ihnen möglichst schnell einen Weg aus der Hoffnungslosigkeit zurück in eine Normalität bieten? Dafür wollen wir als Soforthilfeprojekt ein Jugendcamp eröffnen. Unsere Idee dabei ist, dass die Kinder täglich von 8.00 bis 16.00 Uhr von fachkundigen Pädagogen und Psychologen betreut werden. Das Jugendcamp soll ca. 200 Kindern, insbesondere den Kindern aus unserer Schule und unserem Patenschaftsprojekt, eine Spieltherapie und so die Verarbeitung der Erlebnisse ermöglichen. Daneben sollen auch eine warme Mahlzeit und bei Bedarf ein Schlafplatz angeboten werden. Die Eltern sollen mit in das Programm eingebunden werden, da es uns sehr wichtig ist, dass die Kinder in ihren familiären Strukturen die traumatischen Erlebnisse verarbeiten können. Den finanziellen Kostenpunkt für ca. 6 Monate schätzen wir momentan auf ca. 10.000 Euro.
Langfristig möchten wir natürlich auch unsere Schule wieder aufbauen. Unserer Kalkulation nach liegt der Finanzbedarf für ein neues Gebäude und neue Schulmöbel bei 10.000 bis 15.000 Euro. Wir wollen auch unsere im Oktober begonnenen und jetzt ebenfalls zerstörten Projekte — die Bibliothek und die Ausbildungsmöglichkeit für Jugendliche — wieder ins Leben rufen. Der Direktor der Schule “Notre Dame” versucht ebenfalls, seine Schule wieder aufzubauen und hofft, dass er sie im Oktober 2010 wieder eröffnen kann.
Für diese Projekte benötigen wir finanzielle Unterstützung, wobei wir auch versuchen, von größeren Organisationen Unterstützung zu bekommen. Jeder Projektantrag benötigt aber auch einen Eigenmittelanteil der zwischen 10% und 25% der beantragten Projektsumme liegt.
Unsere Projekte müssen nach über 5 Jahren wieder bei Null anfangen. Durch Schulbildung haben wir in den letzten Jahren fast 200 Kindern die Hoffnung auf eine bessere Zukunft gegeben — und somit eine Chance, der Armut zu entfliehen. Diesen Kindern gegenüber haben wir die Verantwortung, alles daran zu setzen, sie auch jetzt so gut wie möglich zu unterstützen und unsere Projekte fortzuführen. Unsere Kinder brauchen unsere Unterstützung für einen Weg aus der Hoffnungslosigkeit in einen neuen Alltag.
1½ Minuten, die bewirkten, dass die Stadt Petit-Goâve unsere Unterstützung mehr denn je braucht!